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Die Zeichen stehen auf Zuzug nach Mitteldeutschland

Gute Jobs in der Heimat - Wittenberg, Gräfenhainichen, Jessen

Die Zeichen stehen auf Zuzug nach Mitteldeutschland

Jetzt leuchten seine Augen wieder. Aber als Guido Naumann vor 15 Jahren von Sachsen-Anhalt nach Niedersachsen zog, da stand für ihn fest: Ein Zurück gibt es nicht. Warum auch? Die Bestandsaufnahme wirkte nicht nur auf ihn bedrückend. Die Region steckte damals mitten in einer tiefen Krise. Die Arbeitslosenquote pendelte um die 20 Prozent, erinnert sich der gelernte Maler. Gar nicht selten: Schlechte Löhne selbst für gute Arbeit. Nicht zu vergessen, erwähnt der Bitterfelder im Rückblick, jede Menge von Umweltschäden, die heute beseitigt sind.Stolz auf die alte HeimatInzwischen, sagt Naumann, müsse er sich nicht mehr schämen, wenn er anderswo jemandem erzähle, dass sein Geburtsort Bitterfeld sei. Im Gegenteil: Längst zeigt der 40-Jährige aus Osnabrück gerne Fotos aus der alten Heimat, die gerade einen faszinierenden Wandel erlebt.„Stadthafen am riesigen See, eine grüne Umgebung, supermoderne Betriebe im Chemiepark, tolle Wohnungen, Kindergartenplätze. Mancher meiner Kollegen im Westen reagiert da schon etwas neidisch“, sagt der Mitarbeiter eines Baumarktes. Und das habe ihn irgendwie angeregt, die eigenen Pläne auch noch einmal zu überdenken.Das erklärt, warum Naumann Ende vergangenen Jahres zu den ersten Besuchern des Rückkehrer-Tages im Bitterfelder Metalllabor gehört. Die Veranstaltung war eine spezielle Messe für Pendler und Weggezogene und nach der Premiere 2016 erst die zweite Veranstaltung dieser Art. Dieses Mal stellten sich schon 40 Firmen vor. Das waren bereits doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Auch die Zahl der freien Jobs, die sie Interessenten unterbreiten konnten, war kräftig gestiegen. Wer sich auf die Suche nach einer passenden Offerte machte, hatte dabei die Qual der Wahl. Auch Naumanns Lebenspartnerin aus Niedersachsen, Mandy von Beulwitz, staunte. Wie sich schon nach den ersten Informationsgesprächen zeigte, dürfte es ihr als Bürokauffrau nicht schwer fallen, bald in Bitterfeld-Wolfen anzukommen.„130 Stellen sind im Portfolio, eine attraktiver als die andere“, sagt Thomas Wünsch, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Jeder Job, der gut besetzt werde, sei ein Baustein für den Erfolg des ganzen Landes.Das Ziel: „Alle, die zurückkommen, erhalten eine neue Chance und verdienen aktives Entgegenkommen.“ Den Verlust, den Sachsen-Anhalt verkraften muss, verdeutlicht Wünsch mit einer einzigen Zahl: „Rund 900 000 Menschen haben seit der Wende das Land verlassen.“Aktionstage auch 2018Landrat Uwe Schulz (CDU) sieht Anhalt-Bitterfeld mit dem zweiten Rückkehrer-Tag als Vorreiter. Regionen im Harz, auch in der Altmark und der Salzlandkreis machen es mittlerweile nach. „2018 wollen wir neben Bitterfeld-Wolfen und Zerbst auch in Köthen etwas Vergleichbares auf die Beine stellen. Ich glaube, dieses Signal wird weit über die Landesgrenze hinaus vernommen, und es lohnt sich auch.“Nicht von ungefähr verweist Landrat Schulz auf die eigene Verwandtschaft in Bayern, wo im Vergleich zu Sachsen-Anhalt besonders die Wohnkosten „jenseits von Gut und Böse“ lägen. Marion Kostow von der Neuen Bitterfelder Wohnungs- und Baugesellschaft (neubi) kann auf konkrete Alternativen verweisen. Nur einen Katzensprung vom Stadthafen entfernt und trotzdem im Zentrum der Altstadt, wartet unter anderem eine pfiffig geschnittene, große Zwei-Raum-Wohnung im Dachgeschoss auf Mieter.Rückkehr in alte Berufe524 Euro, inklusive Nebenkosten, Ronny Haubners Reaktion: „Das könnte mich wirklich reizen. In Hamburg zahle ich jetzt das Doppelte.“ Der 37- jährige Logistiker aus dem Elbhafen notierte in Bitterfeld-Wolfen die Angebote bis nach dem Komma.Unterm Strich müsse die Gesamtbilanz stimmen, meint der ehemalige Hallenser. Seine Freundin Sarah-Jane aus Wolfen habe ihn auf den Rückkehrer-Tag aufmerksam gemacht. Letzte offene Frage auf seinem Stichwort-Zettel lautete Segelsport. Auf der Goitzsche, weiß er, ist das kein Problem. Aber die genauen Konditionen will Haubner erst noch erfragen, bevor er einen neuen Arbeitsvertrag unterschreibt.Stark vertreten unter den zahlreichen Interessenten waren Bundeswehr-Angehörige, deren Dienstzeit sich dem Ende neigt. Rene Hahn, der seit fast zwölf Jahren in der Nähe von Kiel bei der Marine dient: „Ganz ehrlich, ich habe so etwas wie Heimweh.“ Aufbauend auf seiner bisherigen Qualifikation, könnte sich der ehemalige Bitterfelder einen Job vorstellen, in dem sein elektrotechnisches Wissen gefragt ist. Doch wolle er seinen Anspruch nicht zu eng fassen.Ausführlich nutzte er deshalb auch die Gegelegenheit, sich über eine denkbare Perspektive bei der Leipziger Eisenbahnverkehrsgesellschaft zu informieren. Lokführer, das wäre ein Kindheitstraum. Maria Lyga, die ihn beriet, hält seine Verwirklichung für möglich. Eine entsprechende Zusatzqualifizierung, erklärt sie, werde durch die Agentur für Arbeit gefördert.Kontakte, Kontakte, Kontakte - der Rückkehrer-Tag erwies sich als großer Markt der Möglichkeiten, die in vielen Familien für Gesprächsstoff sorgten. Allein die Vielfalt der Unternehmen, die im Chemiepark angesiedelt sind, lässt die Chancen ahnen: 360 Betriebe beschäftigen bereits 12 500 Männer und Frauen. Allein seit 2015, sagt Prokuristin Petrea Schönborn, sind dort über 1 000 neue Stellen entstanden, die meisten für Fachkräfte. „Die Tendenz weist eindeutig nach oben, hier schlägt das industrielle Herz Mitteldeutschlands.“Gute StartbedingungenVor diesem Hintergrund wird auch verständlich, wie engagiert Markus Hampel vom Bildungszentrum Wolfen-Bitterfeld seine Job-Angebote darstellte. Ein Chemie-Laborant werde gesucht, ebenso ein Umwelttechniker und ein Sozialpädagoge. Sie sollen als Ausbilder und Ansprechpartner für junge Leute agieren, die hier und heute sich auf das Berufsleben vorbereiten. Partner des Bildungszentrums sind 50 Betriebe, die Lehrlinge ausbilden und danach auch weiter beschäftigen wollen. „Die Startbedingungen sind gut.“Gemeinsam müsse man dafür sorgen, dass daraus das Beste gemacht werde. Gelinge das, könne eine erneute Abwanderungswelle vermieden werden. Guido Naumann, der seine Zeit in Osnabrück ablaufen sieht, ist in seinem Falle sogar noch optimistischer: „Die Zeichen stehen auf Zuzug.“ Ralf Böhme

ARBEITSMARKT: Viele, die in Krisenzeiten abwanderten, zieht es zurück nach Sachsen-Anhalt. Die alte Heimat lockt mit Jobs und Wohnungen.

04.04.2018  12.00 Uhr

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Ohne Fachkräfte würde der Arbeitsmarkt genauso in sich zusammenstürzen wie die dieser symbolische Turm aus Styropur-Bausteinen, der während einer Demonstration vor dem Arbeitsministerium aufgebaut worden war. FOTO: DPA