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MLU Halle-Wittenberg: Der Pflegeroboter – ein Mythos?

Unsere Zukunft

MLU Halle-Wittenberg: Der Pflegeroboter – ein Mythos?

In Deutschland leben 3,4 Millionen Menschen, die auf Pflege angewiesen sind. Wissenschaftlichen Prognosen zufolge soll ihre Zahl bis zum Jahr 2030 auf mehr als 6 Millionen und bis 2050 auf mehr als 12 Millionen anwachsen. Im europaweiten Vergleich ist die Situation in Sachsen-Anhalt besonders weit vorangeschritten, wo die über 65-Jährigen bereits einen Bevölkerungsanteil von 25 Prozent ausmachen, der in den nächsten Jahren weiter steigen wird. Hier können innovative, digitale und technische Lösungen helfen. Doch können sie die Pflegefachkräfte ersetzen?Emotionsroboter ParoDie so genannten sozial assistiven Technologien sollen im Alltag Pflegefachkräfte, zu Pflegende und Angehörige unterstützen. Die Roboter zeichnen sich durch eine autonome Handlungsfähigkeit aus und können mit Menschen interagieren. Seit etwa 15 Jahren kommt diese Technologie in der Pflege zum Einsatz.2003 kam beispielsweise der Roboter Paro auf den Markt. Die Robbe ist etwa einen halben Meter lang und hat weißes, flauschiges Fell. Paro verfügt über künstliche Intelligenz und nimmt seine Umwelt über computergesteuerte Sensoren wahr, die Berührungen, Licht, Akustik, Temperatur und Körperposition messen. So kann er auf sein jeweiliges Gegenüber reagieren. In Deutschland wird der in Japan entwickelte Roboter in Pflegeeinrichtungen, vor allem in der Arbeit mit Demenzkranken, eingesetzt. In anderen Ländern kommt er zum Beispiel bei der Arbeit mit autistischen Kindern zum Einsatz. Die Kosten pro Robbe liegen bei zirka 6.000 Euro.Serviceroboter PepperEine andere Art von Roboter ist Pepper, der 2015 den Markt betrat. Der ebenfalls aus Japan stammende Serviceroboter ist etwa 1,20 Meter groß, hat ein kindliches Gesicht, zwei Arme und Räder, mit denen er sich fortbewegen kann. Auf der Brust befindet sich ein Tablet, auf dem er Bilder zeigen und Videos abspielen kann. Er kann einfache Sätze verstehen, Sprache wiedergeben und Gesichter erkennen. Dadurch kann er zum Beispiel im Vorfeld einer MRT-Untersuchung eingesetzt werden, um die Patienten zu informieren und eine standardisierte Befragung mit Ja/Nein-Antworten durchzuführen.Im Gegensatz zu Paro – der in der Regel sofort eingesetzt werden kann – muss Peppers Software allerdings sehr aufwendig durch Informatiker an das jeweilige Einsatzgebiet angepasst werden. So gibt es auch Hotelketten oder Banken, die ihn im Empfang nutzen. Seine Kosten belaufen sich auf etwa 30.000 Euro.Projekt der Uni Halle„Man muss bedenken, dass die Robotik aus der Industrie kommt. Dort soll sie Produkte mithilfe standardisierter Prozessen schneller herstellen. Pflege hingegen ist individuell und hoch sensibel“, erklärt Sebastian Hofstetter vom Format-Projekt an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Im Rahmen dieses Projektes entstand mit dem Future Care Lab ein Raum, in dem neueste technologiebasierte Produkte und Assistenztechniken für den Gesundheitsmarkt in praxisnahen Szenarien und Weiterbildungsangeboten erlebbar sind.

Technologie - Können innovative technische Lösungen in Zukunft Fachkräfte ersetzen?

17.04.2020  14.00 Uhr

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Pepper beim Test im Future Care Lab der Medizinischen Fakultät der Uni Halle. FOTO: MICHAEL WOLF

„Roboter bieten keinen Ersatz für menschliche Zuwendung.“

Denny Paulicke
MLU Halle-Wittenberg

Das Team begleitet die Entwicklung von Pflegenden und Betroffenen aktiv und betrachtet die Technologien hinsichtlich der Relevanz in der Pflege kritisch. „Man muss die Nützlichkeit überprüfen. Es kann nicht sein, dass Techniker finanziell gefördert werden, um etwas zu entwickeln, das in der Praxis nicht zu gebrauchen ist“, warnt ein weiterer Mitarbeiter des Projektes, Denny Paulicke. Er verweist auf politische Entscheidungsprozesse, die die Nutzer mit einbeziehen sollten. Auch die Finanzierung sei ein Risiko. Es dürfe keinen leichteren Zugang zu diesen Produkten für Menschen geben, die besser verdienen. Für das Projekt wurde das Team im vergangenen Jahr mit dem Eugen Münch-Preis in der Kategorie „Versorgungsforschung“ ausgezeichnet.

Einsatz in der Praxis
  

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Denny Paulicke (links) mit Paro und Sebastian Hofstetter mit der sozial assistiven Technologie bei Inkontinenz. FOTO: NICOLE KIRBACH

Sozial assistive Technologien haben also nicht in jedem Fall einen Mehrwert für die Pflege und Gesundheitsversorgung. „Paro muss zum Beispiel in einen Prozess eingebettet werden, um wirksam zu sein. Sonst könnte man auch eine normale Stoffpuppe nehmen“, sagt Paulicke.

„Es ist wichtig zu verstehen, dass es keinen Pflegeroboter gibt“, so Hofstetter. „Roboter bieten keinen Ersatz für menschliche Zuwendung. Sie können bei der Dokumentation und bei standardisierten Prozessen wie dem Transport von Waren helfen. Aber sie können nicht die Pflege übernehmen“, erklärt der Pflegewissenschaftler weiter. So sei auch die Akzeptanz bei den Pflegefachkräften für den technischen Einsatz im Bereich der Entlastung von Routinetätigkeiten am höchsten.

Auch Patienten würden die Technologie am ehesten akzeptieren wenn sie den Nutzen darin sehen. Allerdings sind Roboter wie Paro oder Pepper kein normales Therapeutikum und bilden noch die Ausnahme. „Auf dem Markt sind eher kleinere Produkte wie ein Gerät zur Hilfe bei Inkontinenz“, informiert Paulicke. Dazu gibt es einen kleinen Computer, den man am Gürtel befestigen kann. Der Computer ist mit einem Kabel mit einem Sensor verbunden, den man in Blasenhöhe anbringt. Dieser gibt dem Nutzer etwa 30 Minuten bevor es Zeit wird ein Zeichen, die Blase zu leeren.

„Künstliche Intelligenz und Robotik wird sich zunehmend entwickeln. Aber in absehbarer Zeit wird sich nicht viel ändern“, sind sich die beiden Pflegewissenschaftler sicher. Denn dafür müsse auch die Infrastruktur weiter entwickelt werden. Vom autonomen Roboter, der selbst einkaufen fährt und zu Hause den Tee kocht, seien wir immer noch sehr weit entfernt. Generell stelle sich die Frage, wohin die Reise geht und was sinnvoll ist. Da sei die ganze Gesellschaft gefragt. nenya