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Erfahrungen gesammelt in Kambodscha

179. Schul− & Heimatfest Jessen

Erfahrungen gesammelt in Kambodscha

Über das „Schul- und Heimatfest“, und warum es so heißt, hat Janine Gräbitz aus Schöneicho eigentlich nie sonderlich nachgedacht. Sie feiert dies von Kindheit an mit Menschen, die ihr lieb und wichtig sind. Voriges Jahr allerdings nicht.Als die Familie, ihre Schulkameraden und die Leichtathletikfreunde von der SG 75 Jessen beim Weinfest die Gläser klingen ließen, als sie sich auf dem Festplatz vergnügten und das funkelnde Feuerwerk bewunderten, befand sich die damals 18-Jährige mehr als 11 000 Kilometer entfernt in Kambodscha: „Ich wollte diese Reise unbedingt, doch zum Heimatfest habe ich sehnsüchtig an meine Heimat gedacht“, bekennt sie.Am 29. Juni 2016 war Janine von Leipzig aus via Düsseldorf und Hongkong nach Phnom Penh geflogen. Warum? Das südostasiatische Königreich zählt mehr als 40 Jahre nach Ende des Vietnamkriegs und drei Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg zu den ärmsten Ländern aller Kontinente: „Ich wollte nach Abschluss des Gymnasiums etwas von der Welt sehen, mich aber auch nützlich machen, möglichst im Sportbereich“, verdeutlicht Janine. Im Internet war sie auf die Webseite von „Welt-Sicht“ gestoßen, eine Organisation, die mit dem Slogan „Auslandserfahrungen sammeln und sozial engagieren“ um freiwillige Helfer wirbt. Eines der Angebote hat Janine sofort interessiert: in Kambodscha als Sportlehrerin im Freizeit- und Sportzentrum einer Montessori-Schule zu arbeiten. Die Einrichtung war erst ein Jahr alt und noch nicht ganz fertig. „In dieser ländlichen Schule sollen alle Kinder, egal welcher Herkunft, die Chance und das Recht auf Bildung bekommen.“ Aber: Nirgendwo anders auf der Erde wurden zu Kriegszeiten so viele Landminen verlegt wie in Kambodscha. Obwohl der Großteil beseitigt ist, fordern sie auch heute noch zahlreiche Opfer. Andere gravierende Probleme sind Korruption und Umweltzerstörung.

Was Janine Gräbitz in Asien über Heimat und Heimatfest erfahren hat.

07.08.2017 08.00 Uhr

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Ein halbes Jahr lang war Janine Gräbitz „Sportlerlehrerin auf Zeit“ in Kambodscha. Was sie dort erlebt hat, wollten ihre Sportfreunde von der SG 75 Jessen wissen und sahen sich ihr Fototagebuch an - allen voran die sechsjährige Charlotta. FOTO: GABI ZAHN

„Die Kinder sind neugierig auf den Tag und stolz, diese Schule besuchen zu dürfen.“

Janine Gräbitz „Sportlehrerin“ auf Zeit

All das hat Janine vorab gelesen, aber trotzdem die notwendigen Reiseanträge ausgefüllt und abgeschickt. Erst dann hatte sie ihren Eltern und Freunden von ihrem Plan berichtet: „Alle waren zunächst geschockt, aber als ich ihnen mehr davon erzählte, haben sie mich verstanden.“ Nach weniger als vier Wochen hielt Janine ihre Zusage in den Händen.

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Hier befindet sich Janine Gräbitz während ihres Aufenthalts in Kambodscha mit Mädchen und Jungen auf einem Schulausflug. FOTO: PRIVAT

34 Stunden nach dem Abschied landete sie an ihrem Wunschziel.

Wenig später war sie in Kambodscha bei tropischer Hitze im denkbar chaotischsten Straßenverkehr mit einem Tuk-Tuk-Fahrer unterwegs zu Frau Muoy You. „Sie half mir in den ersten Tagen, in den Alltag zu finden, der so anders ist als bei uns. Ich erfuhr auch, dass es Muoy Yous Traum war, diese Schule in Tonle Bati zu bauen.“

Wie wichtig die Bildungseinrichtung für die Region ist, hat Janine Gräbitz in den folgenden sechs Monaten erlebt, gemeinsam mit anderen deutschen und französischen „Volunteers“. Die freiwilligen Helfer sind an ihrer Arbeitsstätte in sehr einfachen Wohngemeinschaften untergebracht. Für sämtliche Unkosten kommen sie selbst auf. Das Geld kommt jedoch als Spende dem Projekt zugute. Janine Gräbitz erläutert: „Die Schule wird von 180 Kindern besucht, ein Teil davon kommt mit dem Bus aus der 30 Kilometer entfernten Hauptstadt. Weil die Straßen so erbärmlich sind, braucht diese Tour jeweils zwei Stunden. Kinder aus der Umgebung kommen zu Fuß, mit dem Fahrrad oder werden auf dem Motorrad gebracht. Einige sind zuvor noch arbeiten, müssen an Markttagen Reis verkaufen. Doch egal wie die Umstände sind: Wenn diese Kinder das Schulgelände betreten, sind sie gut gelaunt, neugierig auf den Tag und unheimlich stolz, diese Schule besuchen zu dürfen.“

Der Komplex verfügt über ein modernes Sport- und Freizeitzentrum mit Ballspielplätzen, Tennisübungswänden, Tischtennis, Schwimmbecken, Skateboard-Park, Turnhalle und Spielplatz. All das wurde über Spenden finanziert.

Mit ihren Schülern und deren Eltern ging Janine einen Deal ein: „Sie haben mir einige Sätze Khmer - ihre Landessprache - beigebracht, und ich half ihnen, Englisch zu lernen. Doch noch eher als die Worte verstand sie die Sprache der Augen: „Die Kinder strahlen, obwohl sie mit einer für uns krassen Realität konfrontiert sind. Ihr Zuhause ist oft nur eine ärmliche Hütte, nicht alle haben ein eigenes Bett, geschweige denn teures Spielzeug“. Viele Eltern verdienten als billige Lohnarbeiter für Textilkonzerne den Lebensunterhalt. Zudem gebe es große Probleme mit der Müllbeseitigung.

Janine erzählt von Boramey, Pantha, Ponlou, Vireakyut, Oudom, Markkara, Arifin, Sopheaktra und Kim. Es sind die Namen von Kindern, deren Lachen sie nie vergessen wird. Nicht nur, weil ihre Gesichter im Fotoalbum verewigt sind: „Sie haben mir Vertrauen geschenkt und verraten, dass sie Feuerwehrmann, Ärztin, Lehrerin, Autoschlosser oder Bauingenieur werden möchten. Sie wollen ihre Heimat schöner, besser gestalten. Für einige Kinder wird das gewiss nicht leicht, denn ihre Bildung hängt größtenteils von Spenden ab.“

Dann zitiert Janine ein Sprichwort, das in Kambodscha jedes Kind auf dem Land kennt: „Tork, tork Penh Bampong!“ (Tropfen für Tropfen füllt sich der Bambusbehälter). „Das bedeutet, dass man sich Stück für Stück an sein Ziel heranarbeiten soll, um Erfolg zu haben. Ich glaube, auf diese Weise können es die Kinder schaffen.“

Seitdem die deutsche „Sportlehrerin auf Zeit“ zurück ist von ihrer Reise, hat sie oft über „Heimat“ nachgedacht. „Ich weiß jetzt viel mehr zu schätzen, was wir hier haben und warum ich Schulfest feiern möchte. Dann zählt sie auf: „Unsere ländliche Kultur, die Natur, unsere schönen Häuser und Straßen, die Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten, ja sogar die Müllabfuhr - all das ist selbstverständlich für uns, aber dafür haben viele Menschen hart gearbeitet, Stück für Stück. Darauf können wir stolz sein!“ Gabi Zahn