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Nichts ist flexibler als der Mensch

Chance - Halle Messe

Nichts ist flexibler als der Mensch

Dr.-Ing. Thomas Scheib (43) leitet den Bereich Ausbildung und Qualifizierung der Porsche Leipzig GmbH. Unter dem Titel „Digitalisierungskompetenz in der Schule“ hält er den Impulsbeitrag zur Eröffnung der Chance 2017. Zu dem spannenden Thema Industrie 4.0 sprachen wir mit ihm im Vorfeld der Bildungsmesse. „Schöne neue Welt“ heißt der von A. Huxley schon 1932 veröffentlichte Roman, der eine Gesellschaft in einer fernen Zukunft beschreibt: Dort werden die Menschen in Kasten geteilt, die von Alpha-Plus (für Führungspositionen) bis zu Epsilon-Minus (für einfachste Tätigkeiten) reichen. Wie real ist eine solche Entwicklung? Thomas Scheib: In der Porsche Arbeitswelt schätzen wir das Individuum und das eigene Können eines jeden Mitarbeiters. Wir denken nicht in Kasten, sondern in Individuen. Huxleys Utopie halte ich also für irreal. Jedoch ist tatsächlich eine Zweiteilung der Tätigkeiten und benötigten Kompetenzen zu erkennen. Die heute überwiegenden Tätigkeiten auf mittlerem Kompetenzniveau werden sich verändern in Richtung zweier Extreme: einerseits ein Anstieg der Tätigkeiten hoher Kompetenzanforderungen und andererseits ein Anstieg der Tätigkeiten niedriger Kompetenzanforderungen. Aber Tätigkeit ist nicht gleich Beruf, Erwerbsarbeit stellt eine Summe von Tätigkeiten und individuellen Bedürfnissen dar. Allein aus arbeitspsychologischen Gesichtspunkten gilt es, Tätigkeiten auf niedrigem Kompetenzniveau anzureichern und mit Tätigkeiten auf höherem Kompetenzniveau zu erweitern, um Unterforderung und damit Fehler etc. zu vermeiden. Mit „475 Roboter, 189 Menschen“ war im Sommer ein Artikel der Mitteldeutschen Zeitung überschrieben, der über die Errichtung Ihrer High-Tech-Fabrik berichtete. Und gleichzeitig werden am Standort Leipzig neue Arbeitsplätze geschaffen. Wie geht das? Thomas Scheib: Bereits zu Beginn des Computerzeitalters wurden ähnliche Szenarien vorhergesagt. Es hieß, „Computer werden die Tätigkeiten sämtlicher Büroangestellten und Referenten ersetzen“. Die Beschäftigungsstatistik zeigt aber seit dieser Zeit eine starke Zunahme solcher „indirekten Tätigkeiten“. So sehe dies auch für den gewerblich-technischen Bereich aus. Ja, Roboter übernehmen Tätigkeiten von Menschen, insbesondere da, wo die Arbeitssituationen durch Ergonomie, Monotonie, Arbeitstakt u. ä. für den Menschen beeinträchtigend sind. Gleichzeitig bedarf es aber neuer Funktionen, die solche komplexen Systeme gestalten, weiterentwickeln, verändern, warten und betreiben. Hier sehe ich großen Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften. Aber auch scheinbar einfache manuelle Tätigkeiten werden nicht vollkommen von Robotern übernommen, denn nichts ist flexibler als der Mensch. Sei es, unvorhergesehene Situationen zu meistern, eine Vielzahl von Varianten zu beherrschen und auf Fehler flexibel zu reagieren.

10.01. 2017 15.00 Uhr

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Robotermontieren im Leipziger Porsche-Werk die Karosserie der Sportlimousine Panamera. FOTOS: PORSCHE.

Was erwarten Sie von Bewerbern, die bei Ihnen eine Ausbildung beginnen möchten? Wie erfolgt die Auswahl?

Thomas Scheib: Grundlage, um eine erfolgreiche Ausbildung bei uns zu absolvieren, ist insbesondere im technischen Bereich eine gute Basis in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern (MINT). Mit Blick auf die Digitalisierung erwarten wir, dass Kompetenz im Umgang mit den zentralen digitalen Medien vorhanden ist. Digital einen Text zu verfassen, Tabellen zu bearbeiten oder auch mal eine Präsentation zu gestalten, zählt meiner Ansicht nach heute fast schon zu den grundlegenden Kulturtechniken.

Leider sind diese Kompetenzen bei den Bewerbern noch nicht durchgängig vorhanden. Ein weiteres wichtiges Kriterium bei der Auswahl unseres Nachwuchses ist ein hohes Maß an Sozialkompetenz. Das ist zum Beispiel die Teamfähigkeit. Zudem erwarten wir im Zeitalter der Digitalisierung einen kritisch-reflektierten Umgang mit den sozialen Medien. Die Auszubildenden sind Mitarbeiter von Porsche und repräsentieren somit auch das Unternehmen nach außen hin. Der kritische Umgang mit den Fragen: „Was ich wie wann poste, in welchem Kontext und welche Außendarstellung ich damit übermeinen Arbeitgeber abgebe“, ist eine neue Form der Sozialkompetenz, die für uns wünschenswert ist.

Produktionsabläufe in der Automobilbrache sind auf Grund ihres Know-hows oft Vorreiter auch anderer Produktionsprozesse. Wie wandeln sich Berufsbilder, was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern, wie können diese sich für die neuen Herausforderungen vorbereiten?

Thomas Scheib:
Digitalisierung wird im produzierenden Kontext oft mit der Interaktion von Anlagen und Maschinen in Verbindung gebracht. Sie „sprechen“ miteinander, tauschen Daten untereinander aus und steuern sich immer stärker selbst.

Die von uns u. a. ausgebildeten Berufsbilder Mechatroniker und Industriemechaniker müssen sich diesen Anforderungen stellen. Entwicklungen in Richtung der „Connected Cars“ beeinflussen in ähnlicher Weise aber auch das Berufsbild des Kfz-Mechatronikers. Kenntnis über die Vernetzung von Systemen wird in den Berufsbildern zunehmen. Hierbei geht es nicht nur darum, zu verstehen, wie die Vernetzung funktioniert, sondern die Technik hinter der Technik zu kennen. Dies erfordert ein weitaus tieferes Technik-Verständnis.

Stichwort Industrie 4.0: Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistikleistungen und Produkte selbst kommunizieren und kooperieren miteinander – selbstorganisierte Produktion ermöglicht die Befriedigung individueller Konsumbedürfnisse. Wird der Einzelne am Ende doch beherrscht?


Thomas Scheib: Das ist nicht nur eine Frage des „Beherrscht-werdens“ sondern vielmehr des „Sich-beherrschen-lassens“. Ein Grundverständnis für die Systeme, deren Wirkungsweise und ein kritischer Umgang in der Anwendung, schafft entsprechende Mündigkeit, um nicht von den Systemen beherrscht zu werden.